Auszug aus der Abschiedsrede des scheidenden Schulleiters am 6.7.2004:
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Aus Anlass meines 30jährigen Schulleiterjubiläums stellte ich die Frage:
„ Wie hält eine Schule das so lange aus?“
Ich möchte sie heute umkehren und fragen: „Wie habe ich das so lange ausgehalten?“..
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Ich habe meine Aufgabe all die Zeit in 3 Punkten gesehen:
- Schule muss organisiert werden. Und ich will unauffällig dafür sorgen, dass alles funktioniert........ Bewusst nicht zu meiner oder der Schule Selbstdarstellung . Denn das wäre, - alle, die mich ein wenig kennen, wissen das- ,nicht mir gemäß..
- Als ganz bewusster Anhänger einer Staatlichen Schule und überzeugt von der Wichtigkeit des Beamtenstatus für Lehrer sehe ich in der Schule eine Nahtstelle zwischen Bürger und einer Staatlichen Institution. Und ich möchte dafür sorgen, dass an dieser Stelle der Bürger sich ernst genommen, angenommen und gut aufgehoben fühlt und nicht einer herzlosen, Verordnungen verpflichteten Stelle gegenüber steht, der er ausgeliefert ist. Mit „Bürger“ meine ich hier Menschen jeglichen Alters, also Schüler wie Eltern wie auch alle, die sich mit irgendeinem Problem an „die Schule“ wenden.
- Was meine Kollegen betrifft, so möchte ich dazu beitragen, dass jeder so eingesetzt wird und sich selbst so einbringen kann, dass seine Fähigkeiten = Stärken optimal entfaltet werden können. (Deshalb tat ich mich auch mit dem Festschreiben eines Schulprogramms immer schwer, weil ich meine, dass sich ein Schulprogramm aus dem Zusammenführen der individuellen Fähigkeiten der einzelnen Kollegen ergibt und nicht die Kollegen in ein festes Programm hineingezwungen werden müssen.) Da die Personen eines Kollegiums wechseln, ist auch dies ein Grund dafür, dass Schule immer „Baustelle“ ist.
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...und dann ist da noch die Sache mit der Verantwortung. Im Schulgesetz steht „Der Schulleiter trägt die Gesamtverantwortung...“ Kann das überhaupt irgendjemand leisten?
Verantwortung gegenüber wem oder was? Gegenüber den Vorgesetzten? Der Regierung? Den Vorschriften? Den Schülern? Den Eltern? Dem Schulträger? Oder der Gerüchteküche im Dorf? Soll man es allen recht machen? Ist man nur der Sündenbock für alles? ...........
Entscheidend ist ich muss etwas verantworten können gegenüber meinen eigenen Überzeugungen oder nennen wir es Gewissen, Gesinnung, Werte, Prinzipien...
Überzeugungen wachsen langsam während eines Lebenslaufes. Die meinigen sind zweifellos verwurzelt im Christentum und christlichen Glauben, dann stark beeinflusst durch intensive Auseinandersetzung mit Ideen des Sozialismus in meiner Schüler- und Studentenzeit (vor 68!) und durch den Geist der Jahre, in denen Willy Brandt die Aufforderung „mehr Demokratie wagen“ in den Raum stellte. Das war genau die Zeit, in der ich als Schulleiter Verantwortung übernahm, bereit war, dies zu tun und sich auch meine Überzeugungen im Einklang mit dem damaligen „Zeitgeist“ befanden.
In den letzten Jahren fiel es mir dann aber zunehmend schwerer, die angesagten Zielvorgaben in der Schulentwicklung mit meinen Überzeugungen in Einklang zu bringen. Zielvorgaben, die, wie die in ihnen verwendeten Begriffe, heute überwiegend aus der Welt der Wirtschaft stammen. Wo ,Begriffe wie „Brüderlichkeit“ oder „Solidarität“ immer ungebräuchlicher werden, geht es um „Wettbewerb“, „Qualitätskontrolle“, „Zertifizierung“ usw. .....
Ich will jetzt nicht werten, ob diese Zielvorgaben richtig oder falsch oder einfach notwendig sind. Aber ich, ganz subjektiv und mit meinem persönlichen Überzeugungs-Hintergrund kann z.B.
nicht glauben, dass es sinnvoll ist, Prinzipien aus der Wirtschaft auf Schule zu übertragen.
Ich kann nicht glauben, dass durch mehr Wettbewerb ein Schulsystem von einem schlechten (wenn es denn überhaupt ein schlechtes ist) zu einem guten werden kann.
Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass die „Entbeamtung“ der Lehrer diese besser macht. Bessere Lehrer bekommt man nicht, wenn man ihnen mit Entlassung droht und auch nicht, indem man den guten mehr Geld gibt. (Von einem Lehrer, der nur „für mehr Geld“ besser geworden ist, möchte ich mein Kind nicht unterrichten lassen.) Bessere Lehrer kann man höchstens durch bessere Lehrerausbildung und –fortbildung bekommen.
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Folglich muss ich zweifeln, ob ich noch der richtige Mann wäre, eine Schule im Sinn der zukünftigen Zielvorgaben weiter zu entwickeln. Es ist unbedingt notwendig, von der Richtigkeit des Zieles überzeugt zu sein, wenn man sich auf den Weg macht, auf dem man obendrein auch noch andere zu leiten hat. Da viele dieser Ziele nicht „mein Ding“ sind, müsste ich flexibel sein bis zum Wendehals. Deshalb empfinde ich es als glückliche Fügung und bin erleichtert, die Verantwortung in dieser Leitungsposition abgeben zu dürfen. Es ist Zeit! Und ich bin sicher – und das beruhigt mich-, , dass andere, jüngere, diesen weiteren Weg sehr viel besser gehen können als ich es könnte.......Mein Prinzip bei Verteilung von Aufgaben war ja schon immer: „Jeder soll das machen, was er kann!“
Dass es viel zu tun gibt, wissen wir alle ja nicht erst seit PISA. Vieles von dem, was wir schon immer wollten, ist auch liegen geblieben oder wurde nicht erreicht und muss durch neue Menschen und neue Ideen neu in Angriff genommen werden, muss verändert werden. Verändern aber bitte nicht um der Veränderung Willen, sondern immer um es zu verbessern!
Ich wünsche Euch allen, die ihr Schule auch weiterhin „am Laufen“ und in Bewegung haltet, viel Kraft im Wettbewerb, da wo er sein muss, und in eurem ständigen Bemühen um optimale und vergleichbare Rahmenbedingungen für alle Schulen. Entlasst die bildungspolitisch Verantwortlichen dabei nicht aus ihrer Verantwortung, auch wenn sie Euch mit wohlklingenden Versprechungen wie „mehr Selbstständigkeit“ u.ä. locken, passt auf, dass man euch dann nicht in all dieser Selbstständigkeit im Regen stehen lässt..
Vor allem aber legt euer Augenmerk nicht zu sehr auf die Organisation des Schulsystems! Die größte Kraft erfordert das , was drinnen geschieht! Das ist, bei aller Aufregung um Erneuerung und Reformen, eigentlich immer das Gleiche, nämlich das, was die Jugendbuch-Preisträgerin Miriam Pressler beschreibt als „ die schwierige Gratwanderung einerseits Kinder fit machen zu müssen für die Welt der Erwachsenen, andererseits ihnen zu helfen, die Welt der Erwachsenen auszuhalten“.
Für diese auch in Zukunft schwierige und schöne Aufgabe wünsche ich euch allen weiterhin viel Glück und Kraft. |